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Karin Weber (Laudatio zur Ausstellung „Heiliger Ort“ im Malzhaus Kamenz 2018)


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der „heilige Ort“ für Danjana Brandes sind ihre handgewebten Leinwände, denen sie mit Einfühlungsvermögen und wunderbarer Leichtigkeit ihre märchenhaften, traumverlorenen wie sehnsüchtigen expressiv-surrealen Geschichtenbilder anvertraut. Sie gelangt auf ihnen in eine Anderswelt, in die sie staunend eintaucht und erkennend hineinsieht. Der „heilige Ort“ ist auch ein Schutzraum, in dem meditiert werden kann, in dem sich Himmel und Erde begegnen, die alten und die neuen Mythen ebenso. Man wird als Betrachter von dem Farbschmelz angezogen, auch von diesem ungewöhnlichen, inneren Licht, das sich wie ein Orakel anpreist: alles ist vergänglich, alles hat seine Zeit. Sie kennt sich aus mit der Stofflichkeit von Materialien und Oberflächen. Färbt sie doch das Rohleinengarn als Leinenstrang selbst, spult diesen um und webt ihre Leinwände auf einem Flachwebstuhl, dem einzigen noch funktionierenden in Sebnitz, einer Stadt, in der einst mehr als 150 Webstühle gestanden haben sollen. Die farbigen, strukturierten Oberflächen der Leinwände bleiben oftmals sichtbar, wenn sie im Handsiebdruck mit eigener Schablonierung, verknüpft mit Tuschelavierung die ersten Farbflächen setzt. Dann erst nimmt sie den Pinsel in die Hand oder folgt den vorgegebenen Formen mit Ölkreidestiften. Schicht um Schicht tauchen Mischwesen auf, Arabesken, Ornamente.
Wer den Weg der Analyse im Suchen seelischer Urgründe aus Erinnerungen, Träumen und Assoziationen ernsthaft eine Strecke gegangen ist, so wie Danjana Brandes, dem bleibt als beständiger Gewinn, das, was man als das innere Verhältnis zum eigenen Unbewussten nennen kann. So bedingt das eine das andere, so geht das eine in das andere über. So entsteht das Wesentliche aus dem Wechselspiel von Grundformen und von gegenseitigem Durchdringen, so entwickeln sich unendliche Variationsmöglichkeiten von Nachtschattengewächsen und diversen Lichtgestalten.
Nichts ist fassbar. Denkt man, man hätte die Form begriffen, hat sie bereits die Flucht ergriffen und sich irrlichternd in ein fremdes Wesen verwandelt. Oder ist dies nur eine Sinnestäuschung im Land der Fata Morganen, in dem jedem Betrachter neuer Sinn zuwachsen kann, ganz unverhofft, um in rätselhafte Abgründe gelockt zu werden, sobald man sich zu weit vorgewagt hat? Was ist der Sinn von Erkenntnis, könnte man fragen?! Vielleicht das Erkennen selbst, die Lust an den Unwägbarkeiten der Interpretation?!
„Refugium“ nennt Danjana Brandes ein handgewebtes Zelt, welches die Grundfläche eines zweiteiligen Armeezeltes besitzt, welches zusammengeknöpft wird und bemalt ist mit dem lebendigen Kosmos unseres friedvollen Seins.
Danjana Brandes folgt unterdessen nicht mehr ausschließlich poetischen Erfindungen, ornamentalen Verstrickungen, sondern meditiert vor allem über Farbe, Farbräume und Klangfarben. Sie denkt in Farben und entzündet sie. Konturen grenzen leuchtende Farbflächen voneinander ab, die ein reich nuanciertes Innenleben aufweisen, eine zuweilen reliefartige Oberflächenfaktur. Was liegt darunter? Was sind das für ausgehärtete Spuren traumverlorener Momente? Vergangenes, das in der Tiefe keimt, Hoffnung ins Herz geschrieben. Das innere Hören wächst aus den Leinwänden heraus und verzweigt sich. Sinnlich breitet sich Farbe auf den Leinwänden aus und bringt das Innen zum Leuchten, wie in einem Rausch, glühend, knisternd voller Leidenschaft und doch konzentriert. Fülle und Einfachheit bedingen einander, sowie die systematische Analyse, das Improvisieren und dann kommt in den Zwischenräumen der Zufall zum Tragen, der eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Das Außen im Innen zu spiegeln, das Innen im Außen ist nicht nur eine Herausforderung, es ist eine Aufgabe. Sie weiß darum, dass jeder von uns die Summe dessen ist, was er erlebte und was man ihm erzählte. Die alten Märchen fassen uns in der Gegenwart. Der eine wird sein Leben lang eine Rolle spielen, sich verstecken hinter einer Maske, sich anpassen und sich irgendwann verlieren und in der grauen Masse aufgehen. Der andere ist nicht gewillt, sich disziplinieren zu lassen, rebelliert, wird versuchen, sich zu erkennen, der zu werden, der er sein sollte, sich nicht verstümmeln lassen. Jeder wird sich entscheiden müssen, mit Empathie Mensch zu bleiben oder der Gier nach Macht und Reichtum, auf Kosten anderer, nachzugeben. Danjana Brandes weiß, wer sie geworden ist, eine Entfesselungskünstlerin besonderer Art, die sowohl der Magie von Farben verfallen ist, wie der formalen Groteske. Sie spielt einschmeichelnd mit der visuellen Neugier des Betrachters und verblüfft mit ihren Interpretationen von Zeit.
Sie wurzelt sich in Farben ein und zwar in lebhaft exzessiver Orchestrierung, in Mythen und Märchen, die mit Sehnsüchten, die mit den inneren Jagden auf dem Herzacker verbunden sind. Sie ist erfüllt von Kraft und Zorn, Mut und Liebe, und auch Vertrauen… Sie wandelt auf den Wegen der Erinnerung und auf Pfaden des Träumens. Immer wieder bricht sie zu neuer Erkenntnis auf. Sie ist eine Geschichtenerzählerin, die im verschwörerischen Gleichklang mit den ewigen Geheimnissen des Universums lebt, geschützt vor der Zeit und doch inmitten des Alltags.
So entstanden emblematische Bilder, die spielerisch-variantenreich Räume zwischen Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit, Rationalität und Irrationalität zu beschreiben vermögen: Traumgeborenes sammeln, Formen verformen und entbergen, sichtbar machen, beäugen, beargwöhnen, versöhnen. Alles fließt, alles zerrinnt, zwischen den Händen, ein Blick nur, Einblick nehmen, berührt werden, gerührt sein. Alles hat seinen Sinn, auch paarweise, Bilder sind Leibeigene, und doch eigene Leiber.
So sind ihre Bildwerke, rätselhaft wie schön, ein lebendiger Entwurf einer strategischen Neuordnung und Nuancierung der eigenen Erfahrungswelt. Die Künstlerin genießt die Freiheit, sich in sich selbst zurückzuziehen, um mit der Bildpoesie zu sprechen, die geheimnisvolle Geschichten, wie Atempausen, integriert. Hier kann sie verweilen, um mit sich ins Reine zu kommen, um wieder einmal nur zuzulassen, was ihr in den Sinn kommt. Zarteste Schichtungen wechseln mit einem leuchtenden Farbspiel, einer faszinierenden Ornamentik, die mehr andeutet als hervorhebt, einem fabulösem Netzwerk von Linien, einem Vor- und Zurücktreten von Strukturen, Flächen, Floralem, Figürlichem. Sie beredet sich mit Symbolwelten, archaischen Zeichen, mit Dingen, die eine Aura besitzen. Einerseits arbeitet Danjana Brandes auf selbst gewebten und eingefärbten Leinwänden, andererseits bezeichnet sie mit Tusche dünne historische Baumwollstoffe. Die Serie kleinformatiger Arbeiten trägt den Titel: „Zwischenwelten“.
Oftmals entstehen spontan Gesichter. Die Wesen kommen zu ihr und entführen sie in ein Zwischenreich von Traum und Wirklichkeit. Vieles ist wirklich nur angedeutet im Verschwinden. Aus der Nacht tagt es heraus. Es blaut und flammt rot und das Pflanzenmeer hüllt sich ein in Weiß. Haus und Baum und Auge und fliegen. Engel. Die Elemente wachsen einander auf der Fläche zu, um sich räumlich aufzulösen. Ganz viele Schichtungen, zarte und opake. Weiche und harte irisierende Konturen geben Halt im Chaos.
„Das Verborgene wächst ins Sichtbare. Ihre Arbeiten scheinen selbst auf den Wänden immer noch weiter zu wachsen im Spiel mit harten und weichen Formen, mit scharfen Konturen und diffusem Farbgewölk, im Fluss der Phantasie… Grafische und malerische Elemente, Ornamentales und Abstraktes, Figürliches und Florales sind miteinander verbunden. Linien streuen sich, um sich zu verdichten, Flächen ebenso. Es lebt das Prinzip von Makro- und Mikrokosmos. Fremdheiten bilden surreale Zusammenhänge, entfernte Zeiten und Wirklichkeiten kann man gleichzeitig erleben. Es ist Traumzeit angesagt im Reich der Zwischenwelt.“, habe ich über Danjana Brandes 2011 geschrieben, was ich heute noch bestätigen kann.
Danjana Brandes wurde 1979 in Beckendorf/Neindorf in Sachsen Anhalt geboren. Sie lebt seit 1990 in Sebnitz. Nach einer werbegrafischen Ausbildung in Freital, begann sie 1999 ein Studium an der Burg Giebichenstein, der Hochschule für Kunst und Design in Halle. Anfangs war sie in der Klasse bei Prof. Mechthild Lobisch für Konzeptkunst/Buch. Sie wechselte nach einem Jahr in die Klasse Malerei/Textil bei Prof. Inge Götze, über die sie mit Hochachtung spricht. Von 2002 bis 2005 setzte sich Danjana Brandes intensiv mit dem Handwerk der Leinen-Flach-Weberei in der Staatlichen Textilmanufaktur in Halle auseinander. 2003 erhielt sie ein Stipendium an der Hochschule für Kunst, Architektur und Design in Prag, 2005 das Diplom. 2006 erhielt sie den 1. Preis im Gudrun Sjöden Wettbewerb. Seit 2006 ist sie freischaffend tätig. Sie lebt mit Tochter, Sohn und Mann in Sebnitz.
Beim Weben verdichte ich Immaterielles“, kann man auf ihrer Internetseite lesen. Und weiter „Stück für Stück. Und alles von Hand. Vom Punkt (Faser) zur Linie (Faden). Von der Linie zur Fläche. Die Kette bestimmt den Ort. Der Ort wird durch den Schuss beleuchtet. Geschehen und Ort sind gleichbedeutend. Ich beginne mit den gewebten Flächen zu spielen.“



Karin Weber (Laudation for the exhibition “Heiliger Ort” in the Malzhaus Kamenz 2018)


Ladies and gentlemen,


The “sacred place” for Danjana Brandes is her hand-woven canvases, to which she entrusts her fairytale-like, dreamlike and longing expressive-surreal story paintings with empathy and wonderful ease. In them, she enters a different world, into which she dives in amazement and sees with recognition. The “sacred place” is also a shelter in which to meditate, where heaven and earth meet, as do the old and new myths. As a viewer, you are drawn in by the melting colors, also by this unusual, inner light, which is like an oracle: everything is transient, everything has its time. She is familiar with the materiality of materials and surfaces. She dyes the raw linen yarn herself as a strand of linen, rewinds it and weaves her canvases on a flat loom, the only one still in operation in Sebnitz, a town where more than 150 looms are said to have once stood. The colorful, textured surfaces of the canvases often remain visible when she applies the first areas of color by hand screen printing with her own stenciling, combined with ink wash. Only then does she pick up the brush or follow the given shapes with oil crayons. Layer by layer, hybrid creatures, arabesques and ornaments emerge.
Anyone who, like Danjana Brandes, has seriously traveled the path of analysis in the search for the soul’s primal grounds in memories, dreams and associations, is left with the constant gain of what can be called the inner relationship to one’s own unconscious. In this way, the one determines the other, the one merges into the other. This is how the essential emerges from the interplay of basic forms and their mutual interpenetration, how infinite variations of nightshade plants and diverse figures of light develop.
Nothing can be grasped. Just when you think you have grasped the form, it has already taken flight and transformed itself into an alien being. Or is this just a sensory illusion in the land of mirages, in which new meaning can grow on every observer, quite unexpectedly, only to be lured into mysterious abysses as soon as one has ventured too far? What is the meaning of knowledge, you might ask? Perhaps cognition itself, the pleasure of the imponderables of interpretation?
Danjana Brandes calls a hand-woven tent “Refugium”, which has the base of a two-piece army tent, buttoned together and painted with the living cosmos of our peaceful existence. Meanwhile, Danjana Brandes no longer exclusively follows poetic inventions and ornamental entanglements, but meditates above all on color, color spaces and timbres. She thinks in colors and ignites them. Contours demarcate luminous areas of color, which have a richly nuanced inner life, a sometimes relief-like surface texture. What lies beneath? What are these hardened traces of dream-lost moments? The past that germinates in the depths, hope written in the heart. The inner hearing grows out of the canvases and branches out. Color spreads sensually across the canvases and makes the inside glow, as if in a frenzy, glowing, crackling with passion and yet concentrated. Abundance and simplicity are mutually dependent, as are systematic analysis and improvisation, and then chance comes into play in the spaces in between, subject to its own laws. Reflecting the outside in the inside, the inside in the outside is not just a challenge, it is a task. She knows that each of us is the sum of what we have experienced and what we have been told. The old fairy tales capture us in the present. One person will play a role all their life, hide behind a mask, adapt and eventually lose themselves and blend into the gray masses. The other is not willing to be disciplined, rebels, will try to recognize himself, to become who he should be, not to allow himself to be mutilated. Everyone will have to decide to remain human with empathy or to give in to the greed for power and wealth at the expense of others. Danjana Brandes knows who she has become, an unleashing artist of a special kind, addicted to the magic of color as well as the formal grotesque. She plays ingratiatingly with the viewer’s visual curiosity and astounds with her interpretations of time. It is rooted in colors, in vividly excessive orchestration, in myths and fairy tales associated with longings, with the inner hunts on the heart acre. It is filled with strength and anger, courage and love, and also trust… She walks the paths of memory and the paths of dreams. Again and again, she sets off on new discoveries. She is a storyteller who lives in conspiratorial harmony with the eternal secrets of the universe, protected from time and yet in the midst of everyday life.
The result is emblematic images that are able to playfully and variably describe spaces between unambiguity and ambiguity, rationality and irrationality: collecting things born of dreams, deforming and uncovering forms, making them visible, scrutinizing them, resenting them, reconciling them. Everything flows, everything melts, between the hands, just a glance, taking a look, being touched, being moved. Everything has its meaning, even in pairs, pictures are serfs, and yet their own bodies.
Thus her pictorial works, as enigmatic as they are beautiful, are a living blueprint for a strategic reorganization and nuancing of her own world of experience. The artist enjoys the freedom to withdraw into herself in order to speak with the pictorial poetry that integrates mysterious stories, like pauses for breath. Here she can linger to come to terms with herself, to once again allow only what comes to her mind. The most delicate layering alternates with a luminous play of colors, a fascinating ornamentation that hints at rather than emphasizes, a fabulous network of lines, an advance and retreat of structures, surfaces, floral and figurative elements. She talks about symbolic worlds, archaic signs, things that have an aura. On the one hand, Danjana Brandes works on self-woven and dyed canvases; on the other, she marks thin historical cotton fabrics with ink. The series of small-format works is entitled: “Zwischenwelten”. Faces often appear spontaneously. The beings come to her and whisk her away into an intermediate realm of dream and reality. Much is really only hinted at in the disappearance. It emerges from the night. It turns blue and flames red and the sea of plants wraps itself in white. House and tree and eye and fly. Angels. The elements grow towards each other on the surface in order to dissolve spatially. Many layers, delicate and opaque. Soft and hard iridescent contours provide stability in the chaos.
“The hidden grows into the visible. Her works seem to continue to grow even on the walls, playing with hard and soft forms, with sharp contours and diffuse clouds of color, in a flow of fantasy… Graphic and painterly elements, ornamental and abstract, figurative and floral are intertwined. Lines scatter in order to condense, as do surfaces. The principle of macrocosm and microcosm is alive. Strangeness forms surreal connections, distant times and realities can be experienced simultaneously. Dream time is the order of the day in the realm of the in-between world,” I wrote about Danjana Brandes in 2011, which I can still confirm today.
Danjana Brandes was born in Beckendorf/Neindorf in Saxony-Anhalt in 1979. She has lived in Sebnitz since 1990. After training as a commercial artist in Freital, she began studying at Burg Giebichenstein University of Art and Design in Halle in 1999. Initially she was in Prof. Mechthild Lobisch’s class for conceptual art/book. After a year, she switched to the painting/textile class with Prof. Inge Götze, about whom she speaks with great respect. From 2002 to 2005, Danjana Brandes intensively studied the craft of linen flat weaving at the Staatliche Textilmanufaktur in Halle. In 2003 she was awarded a scholarship at the University of Art, Architecture and Design in Prague, graduating in 2005. In 2006 she was awarded 1st prize in the Gudrun Sjöden competition. She has been working as a freelancer since 2006. She lives with her daughter, son and husband in Sebnitz.
When weaving, I condense the immaterial”, you can read on her website. And further “Piece by piece. And all by hand. From the point (fiber) to the line (thread). From the line to the surface. The warp determines the place. The place is illuminated by the weft. Happening and place are synonymous. I begin to play with the woven surfaces.”